Das Vorhaben reiht sich in die Reihe der Projekte zur Erstellung grammatisch erschlossener Referenzkorpora älterer Sprachstufen (Altdeutsch, Mittelhochdeutsch, Mittelniederdeutsch, Frühneuhochdeutsch) ein; Das Projekt versteht sich darüber hinaus als Ergänzung zu den Bemühungen des „Deutschen Textarchivs“ (DTA) um ein Referenzkorpus des Neuhochdeutschen. Es ist als Langfristvorhaben (12 Jahre) angelegt und wird von der DFG gefördert.
In Bezug auf die Grammatikschreibung des Hochdeutschen stellt sich eine vergleichbare Situation dar: Es liegen eine Reihe von Gegenwartsgrammatiken sowie Sprachstufengrammatiken des Ahd., Mhd. und Frnhd. vor, eine Grammatik des Neuhochdeutschen (Nhd.) (1650-2000) existiert dagegen noch nicht. Dabei handelt es sich ausgerechnet um die sprach- und kulturhistorisch zentrale Epoche der Herausbildung der modernen Schriftsprache und Standardsprache, der Entstehung von modernen Umgangssprachen und Regionalsprachen und der Ausdifferenzierung von Textsorten, Textstilen und literarischen Gattungen. Dieses Defizit ist nicht nur intradisziplinär bedenklich, die Forschungsasymmetrien fallen auch im Vergleich mit anderen textbezogenen Disziplinen auf: Während etwa das 18. und das 19. Jh. literatur- und philosophiegeschichtlich sehr gut erforscht sind, wäre eine fundierte grammatische Analyse von zentralen literarischen und philosophischen Texten des 18. und 19. Jhs. mangels Untersuchungen zu syntaktischen Grundstrukturen des Nhd. gar nicht erst möglich. Ein zentrales Ziel des Langfristprojekts ist es, die theoretischen und empirischen Grundlagen für eine Syntax des Neuhochdeutschen zu legen. Grundlegend dabei ist eine Grammatikauffassung, die von der Sinn- und Zeichenhaftigkeit grammatischer Strukturen ausgeht: Grammatische Strukturen sind keine reinen Formen, sie sind nicht bedeutungslos, sondern tragen entscheidend zur semantischen Interpretation von Texten bei. Daraus ergibt sich auch das interdisziplinäre Potenzial des Projekts, der nichtgrammatische Sinn der Grammatik: Aus dem Postulat der Sinn- und Zeichenhaftigkeit grammatischer Strukturen folgt, dass die Erstellung von syntaktischen Grundstrukturen-Profilen von Texten das Potenzial hat, die Textinterpretationen anderer textbezogener Disziplinen zu unterstützen. Insgesamt soll das Langfristprojekt ,Syntaktische Grundstrukturen des Neuhochdeutschen‘ einen Beitrag zu einem besseren kulturellen Verständnis der Sprachvariation und der Vielfalt der Textwelten sowohl im Nhd. als auch im Gegenwartsdeutschen leisten. Genuin sprachwissenschaftliche Leitprinzipien sind dabei: (a) Brückenfunktion: Anschluss der historischen an die gegenwartsbezogene Grammatikforschung und Grammatikschreibung und vice versa; (b) Grammatiktheoretische Offenheit: Konvergenz zwischen projektionistischen und konstruktionistischen Grammatikmodellen; (c) Varietätendynamik: Berücksichtigung von Varietätenunterschieden in der Grammatikforschung.